Heute haben wir einen spannenden Interview-Partner zu Gast, der sich ein sehr innovatives und kreatives Arbeitsumfeld ausgesucht hat. Matthias Clostermann leitet mehrere Firmen, die sich mit Themen wie Künstliche Intelligenz und Robotik beschäftigen. Aber lesen Sie selbst!

Hallo Matthias! Ich möchte später darauf zurückkommen, was Dich nach Andalusien verschlagen hat. Zunächst interessieren mich Deine spannenden Unternehmungen. Du bist unter anderem Gründer & Geschäftsführer von Infinite Mind Studios. Auf der Unternehmenswebsite schreibst Du: „To anyone who seeks easy answers or likes simple classifications, this probably will remain a mystery.“ Steilvorlage! Erklär mir doch mal IMS, als ob ich fünf Jahre alt wäre.

Das kann ich nicht. Für Fünfjährige ist das leider nichts. Aber ich versuche es: ich leite derzeit zwei Firmen, die Entertainment Arts Services in Deutschland und die Infinte Mind Studios in Spanien. Letztlich leben beide Unternehmen von meiner Kreativleistung, wobei das deutsche Unternehmen Design und Projektmanagement für Freizeitanlagen leistet (also Museen, Attraktionen, Besucherzentren und Freizeitpark-Anlagen entwirft & deren Bau managt) und das Spanische Unternehmen Infinite Mind Studios S.L. meine etwas „freiere“ und persönliche Firma ist. Ich nutze die IMS als Plattform um neue Projekte zu starten, spezielle Filme zu produzieren und generell Innovationen zu generieren, die nicht auf direktem Kundenauftrag basieren.

Was ist die Robolounge?

Die Robolounge ist ein gutes Beispiel für oben genannte Innovationen. Da ich mit meinem früheren Unternehmen Clostermann Design GmbH über 25 Jahre Animatronic Figuren (also letztlich Entertainment Roboter) gebaut habe, habe ich mich vor einiger Zeit mit meinem Partner Prof. Dr. Rolf Pfeifer, einem der weltweit Top 30 Forscher für Künstliche Intelligenz und Robotik zusammengetan, um hier ebenfalls Dinge zu erfinden. Leider ist Robotik einer von sehr vielen Bereichen, in denen medial derzeit unglaublich viel Unsinn verzapft wird. Robolounge hat mehrere Ansätze. Zum einen wollen wir reale Roboter bauen, welche auf anderen Prinzipien basieren, wie die heute gängigen ( Stichwort „soft robotics“) . Derzeit verhandeln wir hier mit zwei Investoren Aus China über einen neuen Service Roboter im Bereich Gastronomie.

Zum anderen nutzen wir die Online Plattform Robolounge als Informationsmedium, um in ganz kleinen Schritten über Robotik zu informieren- ohne Hype, ohne mediale Übertreibungen, aber mit kleinen und interessanten Einblicken in wirkliche Weiterentwicklung. Robolounge ist derzeit ein „Projekt“ von IMS. Aufgrund eines von IMS gebauten Prototypen einer neuen Roboter- Hand haben wir nun aber z.B. eine Kooperation mit Schunck GmbH, dem weltweit größten Roboter – Greifer Hersteller. Sobald das vom Umsatz her größer wird, gliedere ich das Projekt als eigenständiges Unternehmen aus der IMS dann aus.

Ich habe viel mit anderen Publishern und Verlegern zu tun, die immer mal wieder spannenden Content für ihre (Online)-Leser suchen: wäre ich dafür bei Dir auch richtig oder beschränkt sich Deine Arbeit auf die Offline-Welt?

Ich habe gerade eine neue spanische Mitarbeiterin nur für die Betreuung & Ausbau unserer Social Media Präsenz eingestellt, die sich auch um Inhalte für Blogs etc. kümmert. Die freut sich natürlich, wenn Sie Artikel etc. liefern darf- und sie reagiert auch deutlich schneller als ich…
Meine Arbeit beschränkt sich im Kern darauf Neues zu kreieren, hauptsächlich in den Bereichen Entertainment und Film (und oben genannter Robotik). Das Medium ist aber zweitrangig. Für mich existiert zwischen „online“ und „offline“ auch keine Trennung.

Auch sehr spannend finde ich Dein Startup seewindow. Damit sich unsere Leser ein Bild machen können, würde ich vorab mal zwei Videos einbinden, die die Arbeit von seewindow am besten verdeutlichen:

Seewindow ‚The Bakery‘ Digital Environment


Die Bäckerei ist für ein Unternehmen entstanden. Auf Deiner Website sieht man aber auch virtuelle Aquarien, atemberaubende Hintergründe fürs Badezimmer etc. Wer ist Deine Hauptzielgruppe? Nationale und/ oder internationale Unternehmen oder doch eher die Endverbraucher?

Die Hauptzielgruppe sind im ersten Schritt Unternehmen wie Hotels, Gastronomie, Retail, Casinos etc. Seewindow stellt Filme her und vertreibt diese als Lizenz. Der fachgerechte Einbau der Technik vor Ort erfolgt über unsere qualifizierten lokalen Partner aus dem Ladenbau. Im zweiten Schritt werden wir die virtuellen Aquarien und noch einige weitere sehr spannende Anwendungen an Private vertreiben. Das braucht aber Zeit und noch etwas Vorlauf.

Die Bäckerei ist nicht für EIN Unternehmen entstanden, sondern richtet sich allgemein an Bäckereien, die Ihre Kunden unterhalten möchten und dabei emotionale Verbindung zum Handwerk zeigen und dem Kunden vermitteln wollen. Im Bäcker- Gewerbe in Deutschland allein gibt es einen Rückgang der „echten“ Backstuben von fast 40 000 vor noch 10 Jahren zu heute weniger als 12 000 heute – dafür aber haben sich die Verkaufsstellen fast verdreifacht. Das Produkt geht also genau dahin, die verlorene Emotionalität des „echten“ Backens wieder dem Kunden nahezubringen.

Es geht hier um digitale Welten. Was sagst Du den klassischen Kritikern, die finden, dass wir uns sowieso schon viel zu viel in virtuellen Welten bewegen und mal wieder ins soziale Netzwerk „draußen“ gehen sollten?

Zunächst einmal sind virtuelle Welten ja nicht zwangsläufig soziale Medien oder Netzwerke. In sozialen Medien tun die Menschen letztlich nichts anderes, als entweder stupide zu konsumieren, oder eben sich über soziale Vorgänge zu informieren, zu echauffieren etc.. 90 % ist Tratsch & Klatsch und unwichtige Selbstdarstellung. Wo man nun Blödsinn macht, finde ich egal- auf einer Party herumzustehen, und sich selbst zu bejubeln finde ich auch nicht so viel origineller…
Genau so kann man aber digital & virtuell all das Schöne machen, was man „klassisch“ auch kann – man kann Kunst herstellen, Musik machen, Wissen generieren und austausche n- und das alles mit einem enorm erweiterten „Werkzeugkasten“.
Es ist letztlich der Mensch, und sein Handeln, nicht das Werkzeug.

Wie ist die Idee zu seewindow überhaupt entstanden?

Die Idee hinter Seewindow sind zwei Ideen. Zum einen das Erschaffen von sehr realistischen „Fenstern“, hinter denen ich eine Realität erzeuge. Das ist eine neue Anwendung des Mediums Film und hat mit klassischen Filmen sehr wenig zu tun. Dazu gehört auch die ganze Technologie im Hintergrund, die uns passgenaue und perfekt synchrone Bildbespielungen auf im Raum verteilten „Fenstern“ ermöglicht.
Zum anderen ist hinter Seewindow der Wunsch solche Filme, die in der Herstellung auch locker mehrfach sechsstellige Beträge kosten, durch die Verteilung auf viele Einzelne eben auch kleineren Kunden wie Bäckern, Einzelhändlern etc. im Lizenzsystem nutzbar zu machen. Das ist für mich auch die spannende Mischung. Ich stelle gerade als Sonderprojekt die Filme & Programmierungen für ein großes Casino in Europa her, die mit über 40 Großbildschirmen die Gäste mitten nach Las Vegas transportieren, und parallel filmen wir diese Woche eine Seewindow Produktion speziell für kleine Pizzabäcker. Ein verrückter geistiger Spagat, aber genau das macht ja den Spass!

Was ist Dein Hintergrund? Bist Du eher Künstler oder eher Techniker – oder einfach Beides?

Ich bin mit 17 Jahren der Schule verwiesen worden als „asoziales Element“ ( O-Ton unseres Rektors), bin kompletter Autodidakt und halte mit dem Nicht- Wissen was ich habe Vorträge an Universitäten und Forschungskongressen.
Was bin ich also? Wenn man auf Typen wie Leonardo da Vinci zurückblickt, dann waren damals oft Künstler und Wissenschaftler Eines. Das waren Menschen, die Forscherdrang hatten, die neugierig und wissbegierig waren und den Drang hatten, damit auch etwas Kreatives anzufangen. Das war, bevor eine Gesellschaft Menschen in kleine Schubladen unterteilen musste. Ich denke, ich bin einfach nur ein sehr neugieriger, wissbegieriger und ein wenig obsessiver Mensch…

Wo soll für Dich die Reise mit seewindow noch hingehen?

Ich hatte geplant, Seewindow offiziell auf der Euroshop 2017 als Konzept vorzustellen und dann damit erste Umsätze zu erzielen. Lustigerweise habe ich bereits fast ein Jahr vorher ein lukratives Großprojekt, mehrere weitere in Anfrage und feste Vertriebspartner. Das freut mich sehr, und ich bin sehr dankbar für mein Glück. Wo es hingehen soll ist, dass wir in den kommenden 3-5 Jahren so viele Filme als Archiv für unsere Kunden aufbauen, dass ich mich dann wieder ggf. ganz neuen Ideen mehr widmen kann, ohne dass die Qualität einbricht.

Was siehst Du als spannendste Entwicklung in unserer digitalen Welt? Und wo siehst Du vielleicht auch Gefahren oder Nachteile?

Für mich ist das spannendste an der digitalen Welt, dass immer mehr Werkzeuge existieren. Vor 10 Jahren musste ich noch eine riesige Produktionshalle mit Maschinen haben, um kreative Ideen verwirklichen zu können. Heute habe ich ein kleines Zimmer in meinem Haus- und erreiche tatsächlich viel mehr. Für Menschen wie mich, deren Begabungen hauptsächlich im geistigen Bereich liegen, ist das natürlich ein Segen, und ich bin sehr dankbar, in dieser Zeit heute zu leben. Gefahren und Nachteile sehe ich nicht in der digitalen Welt- die Nachteile hat von je her der Mensch und sein Umgang mit den Werkzeugen seiner Zeit kreiert. Digitale Medien, Computer, Roboter, jede Form von Technik sind nur Werkzeuge. Werkzeuge haben noch nie ein einziges Problem hervorgerufen. Menschen und Gesellschaften tun dies leider jedoch permanent, egal mit welchem Werkzeug und in welcher Zeitperiode.

Nun zu Dir als Person: was hat Dich nach Andalusien verschlagen? Seit wann bist Du hier?

Ich lebe hier fest seit August 2012. Meine Lebenspartnerin ( und ab April 2017 endlich offiziell meine Frau!) (Herzlichen Glückwunsch! (Anm.d.Red.)) wollten weg aus Deutschland, und uns war wichtig Sonne, gute Infrastruktur, freundliches und internationales Klima und gute Flugverbindungen. Das alles sahen wir hier gegeben.

Ich bin erst seit einigen Monaten hier, hätte jetzt aber ein derart innovatives Digitalunternehmen nicht in Andalusien verortet. Liege ich damit völlig falsch und Du wäschst mir jetzt mal gehörig den Kopf oder ist es hier wirklich etwas „ländlich“ und Du bist trotz gewisser Widrigkeiten nach Andalusien gegangen?

Du liegst leider richtig. Für mich war und ist das aber eher ein Pluspunkt.
Ich hatte ja bereits vorher Unternehmen und bin nicht als Neugründer nach Andalusien gegangen. Und ich habe und hatte von jeher nur internationale Kunden. Auch als ich in Deutschland gelebt habe, kamen meine Haupt Kunden aus Amerika, Asien, England etc. Eine Arbeit wie meine kann man nicht „lokal“ machen.

Was gefällt Dir hier besonders gut, was überhaupt nicht?

Ich liebe die Natur hier, das Klima und die Tatsache, dass ich etwas „ab vom Schuss“ bin. Dadurch komme ich mit meiner Frau und Hunden zur Ruhe. In einer kalten, nassen Stadt in Deutschland oder sonstwo in Nordeuropa wäre ich schon zum krankhaften und überdrehten Workaholic geworden. Hier finde ich immer wieder meinen Ausgleich.
Was ich sehr schade finde, ist die wirtschaftliche Schwäche der Region, die leider durch eine komplett einfallslose Politik befördert wird.

Was waren für Dich die größten Herausforderungen als Auswanderer? Und speziell als Unternehmer?

Letztlich hatte ich es immer gut und nie größere Schwierigkeiten, die durch das Land bedingt waren. Ich denke, dass liegt daran, dass meine Arbeit eben nicht auf irgendwelche lokalen Gegebenheiten abzielt oder darauf beschränkt ist. Ich fliege sowieso für meine Arbeit ständig irgendwo hin- von wo ich abfliege ist da meinen Kunden auch egal. Einzig schade ist, dass ich die Sprache Spanisch immer noch kaum spreche, da ich tatsächlich keine Zeit und keine geistige Kapazität zum Lernen mehr frei habe. Das betrübt mich, denn es ist eigentlich sehr unhöflich gegenüber meinem Gastland. Aber ich hoffe, dass ich mich da in 2017 zumindest ein wenig verbessern kann.

Was würdest Du Menschen raten, die auch mit dem Gedanken spielen, nach Andalusien zu ziehen?

Vorausgesetzt wir klammern hier mal diejenigen aus, die nicht mehr Geld verdienen müssen…
Ich rate dazu, nur dann hierher zu ziehen, wenn man entweder bereits eine Arbeitsstelle hier fest (!) hat, oder eben einen erfolgreichen Betrieb führt, der ortsunabhängig ist. Alles andere halte ich für sehr naiv, die Region ist wirtschaftlich sehr problematisch.

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Würdest Du je wieder zurück gehen oder hast Du hier Deine Heimat gefunden?

Wenn ich es vermeiden kann, dann würde ich nicht mehr in Deutschland leben wollen. Nichts gegen Deutschland, ein nettes Land mit hohem Lebensstandard, aber ich hatte es 38 Jahre lang. Und ich komme mit Kälte nicht gut zurecht. Hier für immer bleiben werden wir und ich wahrscheinlich auch nicht. Aber es gibt noch so schöne Orte auf dieser Welt, und die Welt verändert sich ja auch derzeit sehr stark. Wer weiß, wie Europa in 2025 aussieht, und wie dann andere Orte sich entwickelt haben. Mal schauen… aber erstmal sind wir hier und haben keine konkreten Pläne weiterzuziehen.

Danke für das spannende Interview und viel Erfolg weiterhin!

Links zum Interview:

www.infinitemindstudios.com
www.seewindow.com
www.christmasinabox.eu